15 November 2014 : Der Knoten platzt...
bei mir und vielleicht auch bei dir.
Im Laufe des Textes wirst du eine Ahnung haben, was damit gemeint ist
(hoffentlich).
Der letzte Tag des TPP und meine
Erwartungen stiegen. Welche Empfehlungen/Ergebnisse würden
präsentiert werden? Die Arbeit von drei Jahren, die hoffentlich
nicht umsonst war, da sie zu viel Aufwand gekostet hat. Auf 92 Seiten
sind die Ergebnisse der Arbeit des Tribunals nachzulesen (
http://www.tppmexico.org). Das ist die Essenz aus insgesamt 52
Voranhörungen und 1.500 Organisationen, die zur Realisierung des
Tribunals und des Materials beigetragen haben. Wie viele Menschen, Stunden und Nerven noch dazu kommen, kann sich jeder selbst ausmalen.
Zurück zu uns. Nachdem wir die 45 Minuten Fahrt mit der Metro hinter uns hatten, kamen wir auf dem
Gelände der UNAM an. Unglaublich viele Menschen fanden wir
schon vor, die in Trauben auf dem Vorplatz des Auditoriums
standen. Dort wurden wir auch mit Heike Hänsel, einer Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke bekannt gemacht. Im Anschluss der
Anhörung standen uns Heike Hänsel und Elmar Altvater, ein Politikwissenschaftler und eremitierten Professor an der FU in Berlin,
für ein Interview zur Verfügung.
Im Auditorium der UNAM füllte sich der
Raum. Wir saßen weiter hinten, um die Perspektive für Video- und
Fotoaufnahmen zu nutzen und von der aufsteigenden Wärme zu
profitieren. Anders als bei den Anhörungen davor, war der Raum
unglaublich dicht gefüllt. Neben uns war eine Gewerkschaftsgruppe angereist, bei
der jeder eine weiße Flagge dabei hatte. Die Spannung stieg und der
Beginn der Anhörung nahte.
Ich hatte das Glück mit neben der
Übersetzerin von Heike Hänsel sitzen zu können – einer
professionellen Dolmetscherin, somit kann ich Euch mehr als (je)
zuvor berichten.
Es sei gesagt, dass ich, wie auch die
Jury, nicht alles wiedergeben kann und auch nicht möchte.
So fehlt mir zum Teil das
Hintergrundwissen für eine angebrachte Reflexion der Thematik
und auch der Platz an dieser Stelle.
Ich fasse Inhalte zusammen und schreibe
Gedanken die im Austausch mit Teilnehmern und/ oder unserer Gruppe
entstanden sind.
Zunächst wurde eine Einleitung
vorgetragen bei der das NAFTA-Abkommen
(http://www.wissen.de/lexikon/nafta) mit seinen Auswirkungen für den
,,Verlust der Ethtik“ Mexikos verantwortlich gemacht wurde. Außerdem wurde die (wirtschaftliche) Abhängigkeit Mexikos gegenüber der USA betont. Die Abhängigkeit bestehe nicht erst seit kurzem, sondern
hätte eine längere Geschichte, dessen Folge die
Wirtschaftskriminalität in Mexiko sei. Dazu zählen unter anderem
die Drogenkartelle und die Geldwäsche im Land.
Im Zusammenspiel mit der Analyse der
Dokumentation und der aktuellen Situation in Mexiko ließe sich
sagen, dass das Land an einem Scheidepunkt stehe. Nach diesem
Abschnitt folgte der Aufruf des TPP an die Bevölkerung und an die
benachbarten Länder, angemessen auf die Ergebnisse der Situation in
Mexiko zu reagieren.
Dabei ist natürlich die Frage, wie eine
angemessene Antwort auf Menschenrechtsverletzungen aussehen kann-
gerade wenn das TPP auch herausarbeitete, dass Aktivisten,
Journalisten und auch soziale Bewegungen nicht nur mit Steinen auf
ihrem Weg zu rechnen haben.
Zu den einzelnen Anklagepunkten wurden
die Ergebnisse vorgetragen, immer wieder von Rufen und Schlachtrufen
aus dem Publikum begleitet. Dank der herausragenden Übersetzung
konnte ich die Inhalte gut erfassen und wurde zunehmend
betroffener. Auch beschäftigen mich die Inhalte des TPP's in den
vergangenen Tagen mit dem bitteren Beigeschmack der Skepsis. Sie
drückt sich in der Fragen aus: ,,Ist die Situation in Mexiko
wirklich so dramatisch und mit einem internen Krieg/ einer
humanitären Katastrophe gleichzusetzen?! Und wenn ja, warum wird von
internationaler Seite nicht eingegriffen? Wie kann ein Staat mit
aller Kraft die Wirtschaft anstatt seine Bevölkerung unterstützen?“
Heute erschlossen sich einige
Zusammenhänge mit erschütternden Antworten auf meine Fragen
Laut Aussagen des TPP's ist der UNO die
Situation von Mexiko nicht unbekannt. Auch haben mexikanische Bürger und NGO´s schon Klagen dem internationalen Gerichtshof vorgelegt.
Doch würde die UNO wie auch die WHO und die Weltbank nicht im dem
Interesse von Mexiko handeln, sondern mit dazu beitragen, dass die
Situation sich verschlechterte.
Ganz klar würde es sich bei den
Verbrechen in dem Land, um Verbrechen gegen die Menschenrechte
(http://fh-mexicotpp.blogspot.de/). Diese Konvention ist auch von
Mexiko ratifiziert worden und somit seien sie u.a. auch für
,,systematische und allgemeine Angriffe auf die Zivilbevölkerung“
zur Verantwortung zu ziehen.
Neben dem Staat Mexiko wurden drei
weitere Akteure angeklagt: transnationale Unternehmen (aus den USA, Kanada
und europäischen Länder), die Leiter_innen dieser Unternehmen und
internationale Institutionen.
Zudem wurde darauf aufmerksam gemacht,
dass Mexiko u.a. wegen seines außenpolitischen Engagements in der
Vergangenheit einen Ruf genieße, der weit entfernt sei von der brutal
roten Realität seiner Politik.
Sinnbildlich hierzu ein Foto aus dem
Viertel in Mexiko-Stadt, indem wir bis heute unsere Unterkunft
hatten.
Ein paar poetische Gedanken dazu:
Es war einmal ein wunderschönes
Haus im Kolonialstil. Der Hinterhof reichte weit und allein der
Anblick lud zum Träumen ein. Im Hintergrund waren die Berge die bis in den Himmel ragten. Doch das Tor blieb verschlossen und es waren keine
Menschen zu sehen. Der Eintritt blieb verwehrt und nur wenigen
Personen vorbehalten, die einen Schlüssel besaßen, obwohl so viel
Platz zur Verfügung stand. Der Schlüssel wie auch das wunderschöne
Haus wurde von den Leuten aus Leibeskräften geschmiedet und erbaut.
Und all die Schönheit kam zustande, da sie immer einen Teil von sich
in die harte Arbeit investieren mussten, da sie ansonsten sterben
würden. Sie wussten, dass sie auch so über kurz oder lang sterben
würden. Eines Tages hatten sie die Idee ohne Schlüssel die
Räumlichkeiten zu nutzen, aber es wurde ihnen der Zutritt verwehrt
und bei einigen die wütend wurden und die protestierten wurde der
Boden mit der Farbe des eigenen Blutes getränkt.
Also, wie kann dieser Raum genutzt
werden?
Passend dazu schließt die Anhörung
mit dem Appell, dass der internationale Strafgerichtshof gegen den
Staat Mexiko verhandeln solle. Und auch internationale Instanzen sind
aufgefordert über die Einhaltung der Menschenrechte zu wachen. Zudem
sollen Staaten Abgesandte nach Mexiko senden, um eine Vorstellung der
Situation des Landes zu erhalten.
In den 20 Forderungen stach für mich besonders heraus, dass dringend gegen die
Straflosigkeit auf staatlicher Ebene appelliert wurde und sich global
neu mit der Problematik der Migration befasst werden sollte.
Besonders mit der Einhaltung der Rechte der Migranten durch Mexiko
und der Frage der Migrationsmotivation.
All diese Wünsche münden in der
Vorstellung einer Neuordnung des Staates Mexikos, der die Rechte
aller Menschen und das Gemeinwohl im Blick habe. Dabei sei die
internationale Unterstützung notwendig, um einen Wandel der
Gesellschaft zu erreichen. So wird die Dokumentation mit den
Gutachten an verschiedene Institutionen eingereicht. Die UNO, EU
Parlament und der internationale Gerichtshof, stellen einen Teil der
Adressaten da.
Das TPP Mexiko sei das Zeugnis einer
neuen Realität Mexikos. Es sei noch Zeit dieser Aufgabe nachzugehen,
um ein neues Mexiko zu gestalten, um das „Regime“ Mexikos zu
beenden und den Schrei nach Gerechtigkeit zu beantworten.
Ich denke, ihr könnt jetzt verstehen
warum heute mein Knoten zerplatzte. Das was ich in unserem betuchten
Stadtteil in Mexiko mit schicken Organic Cafés und im Frida Kahlo
Museum gesehen habe. Und auf der anderen Seite die harten Fakten der
letzten Tage. Die Ambivalenz zwischen dem was ich gesehen habe (bei
weitem nicht nur Idylle) aber heute machte es bei mir Klick, und die
Skepsis verflog und es fügte sich ein unangenehmes Bild zusammen.
Wir standen wohl alle am Ende der
Anhörung im Saal und applaudierten, auch wenn mir zwischendurch nach
Weinen zumute war. Aber es ist Hoffnung da, für ein neues Mexiko für
das es sich aufzustehen lohnt.
Dies betonte auch Heike Hänsel in
ihrer kurzen Ansprache, indem sie die Solidarität europäischer
Bewegungen nannte, und Mexiko einlud am 18.4.2015 Teil eines
internationalen Aktionstages gegen das Freihandelsabkommen in Europa
zu sein.
,,Heute ist der Beginn eines neuen
Mexikos“, verkündete sie energisch, wofür nach der spanischen
Übersetzung zustimmend applaudiert wurde.
Ein Knoten ist heute bei mir geplatzt,
indem sich Zusammenhänge erschlossen.
Und für mich bedarf es mehr als (nur)
Worte und mehr als (nur) Taten, um einen nachhaltigen sozialen Wandel
zu gestalten. Es ist für mich ein Prozess der mit der Veränderung
geschieht, die an den Wurzeln ansetzt.
Zum Ende dieses spannenden Tages sind
wir gegen acht Uhr sind wir mit unserem Reisegepäck, in den Süden
Mexikos aufgebrochen. Hier werden wir in der Migrantenherberge die
nächsten Tage verbringen.
Aus der Wärme,
Anki
Wer sich weiter mit dem Thema der
Auswirkungen des Neoliberalismus in Mexiko beschäftigen möchte,
seien die Dokumentationen ,, Wenn das Land zur Ware wird“ und
„Aufstand der Würde“ zu empfehlen.